Eine Mammutaufgabe: Für mehr als 60 SAP-Systeme einen neuen ONE Digital Core aufzubauen, das dauert mit klassischen Verfahren ewig. Durch agile Methoden lassen sich businesskonform Templates entwickeln, die schon nach wenigen Monaten lauffähig sind.
Die meisten Stühle im Projektraum „Vancouver“ sind noch leer. Kein Wunder, Montag ist Anreisetag. Wir nutzen die Stille. Mit dem Manager Operational Excellence und dem Vertriebschef Italien spielen wir die neuen Sales-Prozesse für den Apennin durch. Unser Template ist so gut wie fertig: Order to cash on S/4HANA. Go-Live in sechs Tagen.
Das Technologieunternehmen bastelt am ONE Digital Core: In dem Greenfield-Projekt soll der Kunde eine sauber orchestrierte Prozesslandschaft bekommen. Nicht einfach, bei 170 legalen Einheiten! Jede Landesgesellschaft hat eigene Prozesse. Gleichzeitig: Umbau der Organisation, von mehreren Sparten auf drei Geschäftsbereiche. Es sind 40 SAP ERP Systeme und 25 Non-SAP ERP Systeme. Das heißt: die nicht harmonisierten Prozesse laufen in einer heterogenen IT-Landschaft. Viele Firmenzukäufe, die eher aufgepfropft als wirklich integriert wurden.
Digitale End-to-End-Prozesse in der Hälfte der Zeit
Der Vorstand des Industriekonzerns mit 15.000 Mitarbeitern hat entschieden: die Prozess- und Systemlandschaft wird neu sortiert. Basis: ein globales ONE ERP System. Einheitliche Prozesse, soviel Harmonisierung wie möglich. Ist das Zielbild klar? Ist der Kunde aufgestellt? Die notwendigen Rahmenbedingungen klären wir in der Target-Picture-Phase.
Was brauchen wir eigentlich? Früher hat man sich hingesetzt, um mindestens drei Monate lang Blueprints zu schreiben. Danach hat man ein System aufgebaut, alle wichtigen Prozesse durchdefiniert. Die klassische Wasserfallmethode. Viel Paperwork, viele Diskussionen um systemferne Prozess-Schaubilder, ohne in ein SAP-System hineinzuschauen. Vom Projektstart bis zum ersten Go-Live sind so mindestens mal 15 bis 18 Monate vergangen ‒ quasi im Blindflug. Denn: Es gab ja bis dahin kein Feedback aus dem Business! Passt das so oder nicht?
Mehr Business-Alignment geht nicht!
Das funktioniert heute nicht mehr. Man muss das Business früh mit einbeziehen. Es gilt, schnell „Produkte“ zu schaffen, geeignete Prozess-Päckchen zu schnüren, auf deren Basis es direkte Feedbacks geben kann. Das können zum Beispiel alle Prozesse sein, die eine kleine Sales-Einheit benötigt. Wir beschreiben nicht alle Anforderungen für alle Prozesse von A bis Z, wir inventarisieren sie. Dann entscheiden wir: Welchen Teil wollen wir im ersten Produkt umsetzen?
Wir schaffen einen S/4-Mikrokosmos. Der Vorteil: Im nächsten Schritt kann das Unternehmen damit sofort live gehen und in der realen Welt testen. Wir entwickeln in kurzer Zeit ein neues SAP-Template, dynamisch und zielorientiert. Mit exakt so viel Agilität, wie ein Template-Bau im ERP-Umfeld verträgt. Um herauszukriegen: Sind wir auf dem richtigen Weg? Was meinen die Process Owner?
Natürlich bleibt der volle Projekt-Scope immer im Fokus. Aber der ist viel zu groß. Wir nehmen uns kleine Stücke vor, ein Ausschnitt aus der riesigen Prozesslandschaft eines Konzerns mit 90 Jahren Historie und 2,3 Milliarden Umsatz. Nach dem Motto: How to eat an elephant? Cut him into pieces! Erst wenn dieses Stück Template läuft, nehmen wir uns das nächste Produkt vor. Wir nutzen einen Template-Ansatz in Iterationen. In nur drei Monaten ist ein Produkt entwickelt, in enger Abstimmung mit den Fachbereichen.
Und: Das Feedback der Einkäufer, Produktionsplaner, Logistiker und Controller können wir gleich mitverarbeiten. Schon bei der Erstellung optimieren wir das Template, wir nennen das Continuous Improvement. Zu Deutsch: Optimierung im laufenden Prozess. Beim initialen Produkt hat das schon gut geklappt. Nur noch drei Tage Feinschliff, dann ist das erste, kleine Template für den Bereich Sales Italien fertig. Der Vertriebschef hat uns dafür wertvollen Input geliefert. Er bekommt dafür seinen „Maßanzug“. Mehr Business Alignment geht nicht.